Resolution der Berliner Arbeiterschaft gegen das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien und die drohende Kriegsgefahr, angenommen am 28. Juli 1914 auf den von der SPD einberufenen Versammlungen.
Österreich hat mit seinem brutalen Ultimatum Serbien den Krieg erklärt. Mit unheimlicher Klarheit erkennen jetzt die Völker Europas die Gefahr, in welche sie durch die verderbliche Politik der ohne ihre Zustimmung abgeschlossenen Geheimbündnisse geraten sind.
Droht doch die Kriegsflamme augenscheinlich nach den anderen Ländern hinüberzuschlagen, ganz Europa in Brand zu setzen, unsägliche Leiden über das Menschengeschlecht zu bringen, alles zu vernichten, was in Jahrzehnten mühsamer Kulturarbeit errichtet worden ist.
Diese Katastrophe mit aller Kraft zu verhindern, erachtet das klassenbewußte Proletariat aller beteiligten Länder, eingedenk der Beschlüsse der internationalen Kongresse in Stuttgart, Kopenhagen und Basel, im gegenwärtigen Augenblick als seine dringendste heilige Aufgabe.
Heldenhaft hat das russische Proletariat dem blutdürstigen Zarismus das drohende Menetekel vor Augen geführt. Es läßt sich weder widerstandslos ausbeuten noch als willenloses Werkzeug zaristischer Gewaltpolitik mißbrauchen.
Durch flammenden Protest haben das deutsche wie das französische Proletariat den Abscheu vor dem verbrecherischen Treiben der Kriegshetzer zum energischsten Ausdruck gebracht.
Auch das nächstbeteiligte österreichische Proletariat hat mit Entschlossenheit jede Verantwortung für das Verhalten seiner Regierung abgelehnt.
Es ist also nicht wahr, daß die großen Massen dieser Länder sich in kriegerischer Stimmung befinden. Sie wollen vielmehr allen Chauvinisten zum Trotz den Frieden der Welt.
Die Kriegshetzer sollen wissen, daß, wenn der Weltkrieg ausbricht mit allen seinen Leiden und Greueln, die durch ihn verursachten politischen und wirtschaftlichen Krisen mit unerbittlicher Logik dahin führen, die durch den Imperialismus verblendeten Volksschichten aufzurütteln und der Sozialdemokratie in die Arme zu führen, die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zum Sozialismus mächtig zu beschleunigen.
Trotzdem setzt das Proletariat im Namen der Menschlichkeit und Kultur seinen Friedenswillen mit Leidenschaft allen Kriegshetzern entgegen.
Ebenso wie das Proletariat der übrigen beteiligten Länder verlangen auch wir mit aller Entschiedenheit, daß unsere Regierung sich nicht nur jeder kriegerischen Einmischung enthält, sondern alles tut, um die Kriegsfurie zu bannen und zu diesem Zweck gemeinsam mit den anderen Regierungen sofort dahin wirkt, daß der verderbenschwangere Konflikt schleunigst beseitigt wird.
Die Gefahr ist groß! Es ist keine Zeit zu verlieren!
Gerade wie die französischen haben auch die deutschen Arbeiter in diesem Augenblick die besondere Aufgabe, durch Einwirkung auf ihre Regierungen zu verhüten, daß die Völker dieser Länder österreichischer oder russischer Prestigeoder Eroberungspolitik geopfert werden.
Nieder mit allen Kriegshetzereien! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!
Redaktionelle Anmerkung:
Am 28. Juli 1914 fanden in Berlin machtvolle Antikriegskundgebungen statt. Im Stadt-innern und in den Vororten protestierte die Arbeiterschaft gegen den drohenden Krieg und vereinigte sich am Schluß der Versammlungen zu gewaltigen Friedensdemonstrationen. Ähnliche Kundgebungen fanden in allen größeren Städten Deutschlands statt.
Quellen :
— „Vorwärts“ (Berlin), Nr. 204 vom 29. Juli 1914 ;
— Dokumente und Materialen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1, Juli 1914 — Oktober 1917, Berlin, Dietz Verlag, 1958, S. 14-15 ;
— Transkription und HTML-Markierung: Smolny, 2014.